"Punk ist tot" // Der Zitronenhund im Gespräch mit Ludvik Nehrig

Ludvik Nehrig erblickte irgendwann in den 70er Jahren im norwegischen Flekkefjord das Licht der Welt und war dort lange Zeit in der lokalen Punk- und Indie-Szene aktiv, ehe es ihn kurz nach der Jahrtausendwende nach Deutschland verschlug. Über Rock und Hip Hop landete er schließlich irgendwann in der Elektro-Szene, wo er sich in den letzten Jahren unter anderem auch als DJ einen Namen machte. Nachdem ein Interview bereits seit längerer Zeit im Raum stand, traf ich Ludvik in seiner Wahlheimat Bielefeld, wo er mir im Szenetreffpunkt „Die Blaue Lagune“ bereitwillig Rede und Antwort stand… (elfo)

Ludvik, in deiner Schulzeit hast du einmal an einem Schüleraustausch teilgenommen und warst für 2 Wochen in Hannover zu Besuch, da der dortige Stadtteil Misburg bekanntlich eine Städtepartnerschaft mit Flekkefjord pflegt. Wie waren damals deine ersten Eindrücke von Deutschland und hättest du es dir zu dieser Zeit schon vorstellen können, einmal ganz hier her zu ziehen?
Es war schön, ich war jung und nein, ich konnte mir das damals noch nicht vorstellen, allein weil mein Deutsch zu der Zeit nicht gut war.

Was genau waren damals eigentlich deine Beweggründe, auszuwandern und dir in einem anderen Land ein neues Leben aufzubauen? Wie schwer fiel es dir damals, alles hinter dir zu lassen und welche Unterschiede konntest du seither zwischen dem Leben in Norwegen und dem Leben in Deutschland ausmachen?
Ich habe eine deutsche Freundin, ihre Berufsperspektiven sind hier einfach besser. Absolut unspektakulär. Am meisten vermisse ich die Weite des Landes und die Ruhe, das geht mir noch heute so. Ansonsten fühle ich mich aber sehr wohl in Deutschland. Ihr habt super Bier und generell ist Alkohol ja eher günstig bei euch. Das ist toll.

Den Menschen in Ostwestfalen sagt man gerne nach, sie hätten keinerlei Humor. Wie würdest du das als unvoreingenommener Zugezogener beurteilen? Alles bloß fiese Gerüchte oder die bittere Realität?
Das ist nicht wahr. Die Leute dort haben einen sehr eigenwilligen Humor, den nun mal nicht jeder versteht. Es braucht seine Zeit, aber ich erlebe die Menschen in Bielefeld durchaus als sehr lustig. Und wenn sie dann mal auftauen, dann ist das ein sehr ehrliches Kompliment.

Nun gut, kommen wir mal zum Thema Musik. In Norwegen hast du als Teenager und junger Erwachsener ja vornehmlich in Punkbands dein Unwesen getrieben, in erster Linie als Sänger bei OVERLEVELSE. Mit welchen Gefühlen blickst du auf diese Zeit zurück? Wie würdest du die damalige Szene in Norwegen charakterisieren? Eine lebendige Subkultur oder eher tote Hose?
Wir Norweger sind definitiv härter drauf, als das hier der Fall ist. Wir gehen mehr in die Extreme. Es gab eine sehr kleine Szene zu meiner Zeit, aber eigentlich bin ich da raus und kann zu heutigen Verhältnissen nicht wirklich etwas sagen. Punk ist tot.

In Bielefeld bist du dann relativ schnell auf den Hip Hop-Zug aufgesprungen. Würdest du den BEASTIE BOYS zustimmen, die einmal sagten, Hip Hop sei die logische Weiterentwicklung des Punk?
Nein. Im Hip Hop geht es um Skills, die braucht man für Punk nicht. Genauso wenig wie diesen verwaschenen Ehrbegriff und das ganze Mackertum. Ich sehe da keine logische Verbindung.

Dein Eintauchen in die Elektro-Szene ließ dann auch nicht mehr allzu lang auf sich warten. Wie kam es dazu, was waren die ersten Berührungspunkte und welche Künstler hatten bzw. haben ihren Anteil daran, dass du dich letzten Endes für dieses Genre begeistern konntest?
Ich war ständig Übermüdet durch meinen Job und habe mir gedacht, hör doch mal House. Also hab ich mir ein paar Deep House Tracks besorgt und siehe da, es hat gezündet. Ich habe bis heute allerdings keine wirklichen Favoriten. Ich beschränke mich zusehends mehr auf das Produzieren und lege ja nur sehr selten auf. Meine Inspiration ziehe ich dabei aus allem Möglichen. Das kann ein tropfender Wasserhahn sein, ein bestimmter Track oder ein bestimmter Sound, den ich irgendwo aufgeschnappt habe. Oder ich lasse mich einfach mal gleiten, so nenne ich das. Dann fange ich mit einem ganz einfachen Beat an und irgendwie kommt am Ende etwas dabei raus, dem ich etwas abgewinnen kann. Das ist, wenn Du so willst, eine logische Weiterentwicklung, bzw. ein Pflegen des Punk-Ansatzes. Tun, ohne zu wissen, was und warum überhaupt. Sehr nihilistisch.

Vor ein paar Jahren galt alles, was nicht komplett von handelsüblichen Instrumenten gespielt wurde, als nicht szeneinteger und war bei den Meisten mehr oder weniger verpönt. Heutzutage sind plötzlich in jedem AZ Elektro-Partys und das Interesse an dieser Form der Musik steigt und steigt. Was denkst du? Alles nur ein kleiner Hype, den einfach jeder, dem seine Credibility wichtig ist, bedingungslos mitmacht oder hat sich die hiesige alternative Szene tatsächlich weiter entwickelt und ist offener geworden?
In solchen Kategorien denke ich nicht. Das ist mir auch völlig egal. Bei dem erschaffen von Musik drehe ich mich sehr um mich selbst. Der einzige, der da Regeln aufstellt, die ich akzeptiere, bin ich selber, da es ja auch eine sehr persönliche Sache ist. Musik ist für mich Ausdruck von Emotion, also etwas das immer, auch wenn ich es mit meinem Verstand verschlüssle und abstrahiere, aus einem oder mehreren Menschen heraus entsteht. Dazu braucht es nicht so etwas wie eine Szene, in der Menschen anderen etwas vorschreiben wollen. Wobei, ich finde es gut, wenn politische Menschen sich mit elektronischer Musik befassen und versuchen, etwas mehr Inhalt in diese sehr hedonistische Kultur zu bringen. Aber das ist ein sehr langer Weg. Leider ist vieles einfach auch nicht gut gemacht und kommt mir zu gewollt vor, wenn z.B. alte Punkparolen zu einem billigen Beat geshoutet werden ist das doch sehr einfallslos und blutleer.

Wie würdest du diese Entwicklung hin zu immer mehr Elektro generell bewerten? Rückt bei den Kids mehr und mehr die Feierei in den Vordergrund und Inhalte werden immer unwichtiger? Und wie wichtig sind dir Inhalte? Deine Tracks kommen ja zumeist auch komplett ohne Text aus, was es ja nicht unbedingt einfacher macht, eine gewisse Botschaft zu transportieren…
Weil es auch nicht um Botschaften im herkömmlichen Sinn geht. Ich glaube, es gibt nur ganz wenig Texte, die die Wirkung, die man so einem Text nachsagt auch wirklich entfalten. Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass ein Vortrag aus Worten Menschen nachhaltig zu besseren Wesen macht. Es geht mir darum, die Menschen und auch mich selber auf der emotionalen Ebene zu erreichen. Wenn es dir richtig scheiße geht, hilft oft Bewegung mehr als vieles andere. Das wissen wir z.B. aus der Therapieforschung, bei sagen wir mal Depression. Wenn ich also Menschen dazu bringe sich zu bewegen und ihren Körper anzuregen, positive Hormone und Botenstoffe auszuschütten, kann das einen ähnlichen Effekt haben, wie eine ganz besonders nahegehende Textzeile, wenn nicht sogar einen noch intensiveren. Das ist definitiv ein Ansatz, der mir gefällt. Das immer mehr Kids sich der elektronischen Musik zuwenden, hat sicherlich etwas mit einer Feierkultur, aber auch mit dem Austesten von Grenzen, wie eigentlich schon immer, zu tun. Zumal diese Kids in einer noch nie gekannten Flut von Informationen aufwachsen. Da kann das auslassen von verbalen Botschaften eine befreiende Wirkung haben.

Stichwort Veröffentlichungspolitik: Nach und nach stellst du immer mal wieder Tracks ins Netz, die man sich entweder via Stream online anhören oder kostenfrei herunter laden kann. Gibt es Pläne, auch mal ein komplettes Album zu releasen? Und wenn ja, welches Format würdest du hierfür bevorzugen?
Wenn ich ein Album releasen wollte dann nur auf Vinyl, ganz klar. Da ist allerdings nicht geplant, da ich zur Zeit einen anderen Ansatz verfolge. Musik, egal in welcher Form, hat seinen monetären Wert extrem eingebüßt. Das muss nicht schlecht sein, macht es aber für einen Künstler nicht unbedingt leichter, sein Leben zu bestreiten. Die Idee ist eher, warum etwas verlangen, was ja doch niemand zahlen will. Über die Tracks bekomme ich aber Aufmerksamkeit und immer mal wieder DJ Slots und da kann ich dann auch ab und an mal etwas Geld verdienen. Wobei, ohne normalen Job geht es sowieso nicht bei Künstlern meines Bekanntheitsgrades, also ist es sowieso egal. Durch das Netz habe ich kaum Kosten und da ich keinerlei Geld mit meiner Kunst verdienen muss, habe ich den Luxus der absoluten künstlerischen Freiheit.

Vor kurzem veröffentlichte die Bielefelder Indie-Band WE ARE FROM PLUTO einen Remix, den du von einem ihrer Songs gemacht hast. Das Ergebnis gefiel mir ausgesprochen gut. Wie kam der Kontakt zustande und wird man derartige Projekte in Zukunft öfter von dir zu hören bekommen? Dürfen sich musizierende Leser bei dir melden, die einmal eine Ludvik-Nehrig-Remix von einem ihrer Werke haben möchten?
Das war eine sehr spontane Geschichte. Ich habe den Jungs für ihre Aufnahmen etwas Technik geliehen und zum Dank haben sie mir die Spuren zum Experimentieren überlassen. Den Ansatz mit Original-Analogaufnahmen einer Amateurband zu arbeiten, fand ich spannend, weil es eben keine perfekten Sounds irgendeines Plugin-Pre-Sets sind. Das hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht. Generell darf sich jeder bei mir melden, allerdings mache ich einen Remix nur, wenn ich auch wirklich eine Verbindung zu dem Song aufbauen kann und eine Idee habe, die mich fesselt. Und ich muss damit machen dürfen, was und wie ich es will.

Wenn man als DJ arbeitet, ist es ja sicherlich keine Seltenheit, wenn Leute mit Musikwünschen an einen heran treten. Welches war der kurioseste oder gar unsinnigste Songwunsch, der dir in den letzten 10 Jahren zu Ohren kam?
Seit ich House auflege, habe ich den Luxus, dass Menschen mich eher Fragen, was das denn gerade war. Diese Menschen wollen meistens durchtanzen und nicht den DJ mit Wünschen bombardieren. Einen Wunsch gab es aber, der so gar nicht passen wollte. Mitten in einem Techhouse-Set wurde sich "Happy Birthday" gewünscht. Ich überlege, ob ich da nicht mal einen Edit mache, um dem auch nachkommen zu können.

Ludvik, ich bedanke mich für das Interview und die letzten Worte gehören dir.
Danke.


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