"Immer dreckiger und asozialer" // Der Commaaaander im Gespräch mit VLADIMIR HARKONNEN





















Moin, Phillip!
Hier also die nächste Fragerunde "commaaaander vs Phillip Harkonnen". Pilsken geöffnet, Bütterken bereitgelegt, Mucke an und ab dafür:
VLADIMIR HARKONNEN/Philipp: Pilsken und Bütterken, das ist ein guter Einstieg!

2009 kam euer Debüt raus. Lange hat es gedauert, aber das Warten hat sich gelohnt, finde (nicht nur) ich. Wie zufrieden seid ihr selbst mit dem Ergebnis und was hat sich seit 2009 für euch verändert?
Philipp: Das stimmt, wir wollten das Ding ursprünglich auch früher raushauen und waren bereits vor zwei Jahren im Studio unseres Ex-Gitarristen Nils. Und das ist gleich mit die größte Veränderung: Es hat sich dabei eben gezeigt, dass es in der Konstellation nicht weiter funktioniert. Also haben wir uns voneinander getrennt und machen seitdem zu viert weiter. Das klappt gut, aber da die Stücke für zwei Gitarren geschrieben sind, proben wir wieder mit einem neuen Gitarristen. Ab Herbst dann wohl wieder zu fünft auffer Bühne!
Wir sind alle sehr zufrieden! Haben da ‘ne Menge Liebe und Arbeit reingesteckt. Und jetzt tut es wahnsinnig gut, das Ding in den Händen zu halten. Vor allem das Vinyl natürlich. Ich würde eigentlich nix anders machen, nur könnte der Sound NOCH dreckiger sein. Das ist ein schönes Ziel fürs nächste Mal: Viele Bands werden zusehends braver und cleaner im Sound – VRHN werden immer dreckiger und asozialer!

Insbesondere das Vinyl ist exorbitant gut aufgemacht. (Klappcover, Texte, fettestes Booklet + CD). Da ihr im Prinzip ja alles in Eigenregie macht, war es da nicht sehr kostenintensiv und auch ein gewisses Risiko? Was könnt ihr anderen Bands aus dem D.I.Y. Bereich empfehlen, die ihren Scheiß auch gerne mal so geil raushauen würden?
Philipp: Danke! Was wir denen empfehlen können? Macht das bloß nicht, wenn ihr an der Platte was verdienen wollt, haha! Natürlich ist es sehr kostenintensiv, zumal wir das Booklet quasi aus unserer Tasche spendiert haben. Aber es lohnt sich eben doch! Jedenfalls im Bereich der Befriedigung, die man dabei empfindet. Ein guter Weg ist es, nicht alles alleine zu schultern. Wir haben für das Vinyl die D.I.T.-Variante gewählt – DO IT TOGETHER… Mit dabei sind BREAK THE SILENCE, NETWORK OF FRIENDS, FRONT CORE, MASS PROD und noch ein Label, dessen Namen ich nicht mehr nennen darf. Das hat der ohnehin sehr knappen Kalkulation (wir verkaufen die LP für 10,- Euro) geschadet: Dieses letzte Label hat eine Markenrechtsklage aufgrund ihres Labelnamens bekommen und musste nicht nur Anwaltskosten etc. berappen, sondern auch alle bisherigen veröffentlichten Tonträger vernichten. Zum Glück war unsere LP da schon ausverkauft… Ach ja, und bei CD und Tape sind MASS PROD und CARDIOPHONIC RECORDS dabei. Also, verdienen wird keiner an dem Ding, aber wir hoffen, dass es eine zweite Auflage des Vinyls und der CD geben wird.

VHRN stehen nicht nur für brutal guten HC/Thrash, sondern mit dem neuen Album noch einen Tacken mehr für unglaublich gute und auch politische Texte. Rausgehauen mit einer schier unglaublichen Energie/Wut. Beim neuen Album warst du, Phillip, federführend, was die Texte angeht. Kannst du am Beispiel von z.B.“Frontex Fuckers“ oder „Irukandji“ oder, oder, oder.... näher drauf eingehen?
Philipp: Gern. Ja, es hatte sich einiges aufgestaut, insofern waren die vier Jahre vielleicht gut... Es gibt mehrere zentrale Themen, die ich hier verarbeite. Einmal habe ich mich für „Reign In Vlad“ mit der Geschichte des Buches „Die Grenzen des Wachstums“ beschäftigt. Das Ding ist 1972 erschienen und die Autoren beschäftigen sich mit den Phänomenen der Industrialisierung, des Bevölkerungswachstums, der Zerstörung von Lebensraum, der Unterernährung und der Ausbeutung von Rohstoffreserven. Obwohl die Erkenntnis, dass exponentielles Wachstum nicht ewig möglich ist, also schon vor über 40 Jahren dokumentiert und international diskutiert wurde, machen wir einfach so weiter. Alles soll immer weiter wachsen, vor allem der Profit. Das Tragische ist, dass der Mensch offenbar zu kurz lebt, um die langfristigen Folgen seines Handelns wirklich überschauen zu können.
Ein anderer Text, „Blue Hell“, handelt von der Verschmutzung der Ozeane durch Plastikpartikel. Das ist wirklich unfassbar, wie sehr die Meere schon von dem Zeug verseucht sind, ohne dass wir es mit dem bloßen Auge wahrnehmen können. Und Meereslebewesen fressen das Zeug mit, werden gefischt, womit die Menschen ihren eigenen Dreck wieder auf den Teller bekommen. TRASH EATING TRASH – was für ein Irrsinn!
Sehr am Herzen liegt mir auch „This Ain’t A Lovesong“, denn da geht es um die Zerstörung von Freiräumen. Ich persönlich seh halt am liebsten Konzerte in ranzigen autonomen Zentren und ich könnte jedes Mal kotzen, wenn ein Laden abgerissen oder drangsaliert wird. Gleichzeitig fühle ich mich schuldig, weil man vielleicht doch hätte mehr tun können. Nur was? Zum Teil ist es Ohnmacht, denn wie soll man selbst mit x Gleichgesinnten die Abrissbirnen stoppen. Hier müssen wir alle mehr Solidarität zeigen und für den Erhalt autonomer Zentren kämpfen. 

Glaubt ihr, als Band könnt ihr „politisch“ noch was bewegen? Sind viele, auch eurer, „Musikkonsumenten“ nicht mittlerweile arg gleichgültig geworden? Wenn ich beobachte, wie sich unsere Regierung zum Beispiel auf U.S.-amerikanische Wirtschaftsinteressen einlässt oder der Umgang mit dem N.S.A. Skandal und mir vorstelle, so etwas wäre in den 70er/80er Jahren passiert?
Philipp: Na logisch! Jede_r, der/die die Texte liest, wird sofort aufspringen und endlich die weltweite Revolution anzetteln! Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark!
Nee, das ist gar nicht meine Intention. Wäre etwas arrogant anzunehmen, dass ich da jemanden politisch irgendwie überzeugen könnte. Eigentlich sing ich das alles mehr für mich selbst. Ich kann mehr Hass und Leidenschaft in die Songs stecken, wenn ich über derartige Themen brülle.
Was du im zweiten Teil der Frage erwähnst, ist auch wirklich interessant. Ein wenig greifen wir das in „Do You Feel Safer Now?“ auf. Ist schon erstaunlich, wie man sich 1987 mit Protesten und Boykotten gegen die Volkszählung gewehrt hat, und jetzt freiwillig viel größere Mengen an Daten und Freiheiten freiwillig aufgibt. Da kann man noch nicht einmal nur „die Regierung“ anklagen, sondern sich schön selbst an die Nase fassen.

Auch scheinen völkische Deppenbands in der großen Masse immer mehr Zulauf zu finden und von der derzeitigen TV-Programmgestaltung möchte ich erst gar nicht anfangen... Dennoch werdet ihr nicht müde klare Statements rauszuhauen.
Philipp: Boah, ja hör bloß auf. Vor allem werden das offenbar ja immer mehr von diesen Prollbands. Im Grunde zum Lachen, wenn man diese Scheiße mal irgendwo aus Versehen hören muss (bis die betreffende Anlage zerstört werden kann…), aber es hören sich ja auch unfasslich viele Menschen diesen Dreck mit Begeisterung an. Das stachelt uns jedoch eher gerade an, nicht so eine Pathos-Scheiße rauszuhauen. PASCOW bringen das auf „Lettre Noir“ gut auf den Punkt: „Die Hölle näht fast alle Fahnen. / Auch die, die sie zum Echo tragen. / Es bleibt ein Tölpel, wie er hetzt, / wenn man den Pathos übersetzt. / Versprechen, Absicht, Reden Sagen, / was du am Ende schmeckst, sind Taten. / Doch irgendwas ist schiefgegangen, in der Minute bis hierhin. / Sprich leise, Alex, leise! / Über Ekel aus Tirol wollt‘ ich niemals singen.“ 

Es gibt Väter in eurer Band. Gearbeitet wird auch noch. Wo nehmt ihr die Zeit her, live immer wieder so präsent zu sein? Gibt es da keine Probleme mit euren Familien?
Philipp: Momentan gibt es nur noch einen Vater in der Band. Soweit wir wissen, hohoho. Aber Zarc hat das echt gut drauf. Wir müssen halt immer checken, ob das terminlich passt oder familientechnisch etwas im Wege steht. Einige tolle Anfragen mussten wir natürlich deswegen ablehnen, aber was soll’s. Es ist ja „nur“ ein Hobby und andere Dinge sind eben auch wichtig. So präsent wir dann ja auch nicht. Ich würd schon gern noch etwas häufiger live spielen, vor allem im Ausland. Mal gucken, was da noch geht…

Du, Phillip, unterrichtest als Lehrer an einem kleinen Gymnasium im Norden der Republik. Gab es jemals Konflikte mit deiner Tätigkeit als Lehrer? Probleme mit Kollegen? Wie finden deine Schüler das? Wie ist dein Zeitmanagement?
Philipp: Nein, es gab interessanterweise nie irgendwelche nennenswerten Probleme. Einige Kolleg_innen und auch Schüler_innen waren sogar schon auf Konzerten von uns. Die meisten finden das aber auch nur kurz interessant und dann sind im Schulalltag eben doch andere Probleme wichtiger. Die wenigsten Schüler_innen hören Hardcore/Punk und/oder Metal. Einige wissen heutzutage nicht mal, wie ein Punk aussieht. Ich geh damit offen um, thematisier das aber weniger im Unterricht. Wer sich wirklich für die Musik oder bandtechnische Fragen interessiert, kann mich in den Pausen ansprechen. Wir sind aber auch keine Band, die krass fragwürdige Inhalte verkörpert. Es gab ja mal die Diskussion um diesen Typen von der Death Metal Band DEBAUCHERY, der wegen dieser Band und ihres Images aus dem Referendariat „geflogen“ ist. Aber der hat auch auf Bandfotos mit blutbesudelten nackten Mädels posiert, die in Blow-Job-Stellung vor ihm hocken. Da ist es schon naiv, wenn man nicht damit rechnet, Probleme mit der Schulleitung oder der Elternschaft zu bekommen. Trotzdem eine interessante Frage – sollte man ihm das aufgrund der „Freiheit der Kunst“ durchgehen lassen oder würdest du deine (potentiellen) Kinder auch nicht von ihm beschulen lassen?
Vom Zeitmanagement ist das ja ganz gut, ich habe generell an den Wochenenden frei und dann sind die Ferien für Touren eine Möglichkeit. Auch da muss man halt wegen Korrekturen gut organisieren, aber das klappt mittlerweile. Ich bin aber auch schon von Zeugniskonferenzen direkt auf die Bühne gehechtet…

Ob deine Bandkollegen die Freude am Metal ähnlich intensiv empfinden täte mich interessieren. Der Einfluß ist ja auch in eurer Musik sehr deutlich. Nun unterscheiden sich die Welten Punk/Metal doch in einigen Punkten. In welcher Welt fühlst du dich wohler? Gibt es Bandkollegen, die eigentlich eher weniger Bock auf Gigs im AZ oder auf dem Bauwagenplatz haben?
Philipp: Oh, unbedingt! Zarc (g) und Eric (d) haben früher sogar mit einer Thrash Metal Band begonnen – NUCLEAR TERROR. Es ist wirklich witzig, wie sehr sich diesbezüglich unsere Geschmäcker überschneiden – die ganzen klassischen Metalsachen auf der einen Seite, also SLAYER, NUCLEAR ASSAULT, DEATH ANGEL, CORONER, SACRIFICE und so, auf der anderen Seite ganz viel HC/Punk wie NO MEANS NO, SNFU, MDC, DEAD KENNEDYS etc. Wobei ich der einzige bin, der ja auch volle Pulle RICHTIGEN Heavy Metal hört, also Eierkneif-80er Kram, wie man ihn auf Festivals wie dem KEEP IT TRUE oder dem HEADBANGER’S OPEN AIR genießen kann. Andi (b) wiederum ist sogar etwas metalfixierter und hört weniger Punk. Sein Ding war früher die Stonerecke, mittlerweile fährt er sehr auf frühen Death Metal und extreme Sachen wie SLAUGHTER, DEATH, AUTOPSY, OBITUARY, PESTILENCE, CELTIC FROST, HELLHAMMER oder TRIPTYKON ab. Vernünftigerweise.
Aber so von der Atmosphäre und dem Spirit her mögen wir alle die Auftritte in AZs am liebsten. Das ist einfach herzlicher und gemütlicher als in den kalten und sterilen Rockschuppen, in denen Metalkonzerte häufig stattfinden. 

Wenn ihr euch eine „bekannte“ Punk- und eine „bekannte“ Metalband aussuchen dürftet, mit denen ihr auf Tour gehen könntet, welche wären das?
Philipp: Haha, schwierig! Nachher entpuppen die sich als Arschlöcher und dann mag man sich die Alben gar nicht mehr anhören! Aber gut: Ich sage POISON IDEA zur „Feel The Darkness“-Phase und die kanadischen SLAUGHTER zur Demozeit, haha! Am besten alle drei zusammen, ohauerha, was das für ein Chaos gäbe!

Welche Erfindung der letzten 10 Jahre treibt dich am meisten in den Wahnsinn?
Philipp: Geile Frage, Alter. Ich find es ja vollständig gruselig, dass jetzt jede_r diese Drohnen kaufen kann. Selbst wenn damit nicht gleich Menschen gekillt werden, reicht der Gedanke schon, dass jeder Idiot dir so eine Flugdrohne samt Videokamera hinterherjagen kann. Oder krass auch diese 3D-Drucker, mit deren Hilfe man schon funktionsfähige Waffen zusammenbasteln kann! Aber natürlich ist das alles ambivalent. So ein 3D-Drucker kann auch für vieles Gute eingesetzt werden, hab z.B. neulich einen Artikel über einen versehrten Jungen gelesen, der aufgrund seines Wachstums in regelmäßigen Abständen eine neue Beinprothese bräuchte, welche aber nicht finanziert werden konnte. Der Vater ist aber irgendwie an so einen Drucker gekommen und stellt für seinen Sohn jetzt stets die neue Prothese her. Das Abgefuckte ist halt, dass viele derartiger Erfindungen für gute Zwecke eingesetzt werden könnten, tatsächlich aber eher zum militärischen Einsatz o.ä. kommen…
Schade finde ich irgendwo auch die Digitalisierung von Musik (und Büchern). Das fand ich früher schon „romantischer“, dass es wirklich nur Vinyl gab. Der Wert von Musik und vielen anderen kreierten Werken geht dadurch verloren. Klar, auch das hat gute Seiten, aber so richtig geil ist dat alles nicht.

Was dürfen wir in Zukunft noch von VHRN erwarten? Gibt es konkrete Pläne? Eine Rockumantary fänd ich lustig. Oder VHRN Comics, Actionfiguren und Sammelalben.
Philipp: Vergiss nicht den VRHN-Flipper, den unbedingt notwendigen VRHN-Sarg, VRHN-Buchstabensuppe, VRHN-Zollstöcke und selbstverständlich VRHN-Bier. Alles in Arbeit.
Was wir aber tatsächlich noch in petto haben, sind vier fertig aufgenommene Songs aus den „Into Dreadnought Fever“-Sessions. Die kloppen wir irgendwann auf 10“, 12“ oder so raus. Die sind genau so gut wie der Rest, nur wollten wir die 40 Minuten nicht überschreiten und haben sie deshalb zurückgehalten. 

Was musst du noch unbedingt loswerden? Letzte Worte, Anregungen, Aufrufe, Nachworte...
Philipp: Ja, vielen Dank für dat Interview! Wir sehen uns, wenn wir uns sehen!

Vielen Dank! 

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